Nach dem Pariser Klimaabkommen in 2015 hat sich die Diskussion um die Nachhaltigkeits- und Klimapolitik von der bloßen Bewusstseinsbildung und dem Diskutierern darüber, ob es wirklich einen Klimanotstand gibt zur aktiven Gestaltung der Nachhaltigkeits- und Energiewende verlagert. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, immer wieder den Übergang von der "erwarteten Zukunft" zur "wünschenswerten Zukunft" zu betonen.
Gerade in Energiesystemen ist vieles abhängig von der Infrastruktur, technischen Möglichkeiten und dem bisherigen Weg. Wir diskutieren viel über den technologischen Fortschritt, die notwendigen Ressourcen, den Aufbau einer neuen Infrastruktur und wirtschaftliche Investitionen. Was jedoch weniger abgedeckt und im Diskurs stattfindet, ist die soziale Perspektive auf die Energiewende.
Wenn wir die Energiewende nicht auch auf sozialer Ebene gestalten und mitdenken, wird die Transformation nicht glücken.
Der Diskurs um zukünftige Visionen für unsere Energiesysteme ist mehrdimensional und nicht rein technischer Natur:
Energievisionen sind von Natur aus normativ, das bedeutet sie beeinflussen die gesellschaftlichen Strukturen und werden gleichzeitig von diesen beeinflusst. Gesellschaftliche Strukturen werden historisch von der Energieversorgung und -arten geprägt: Energiesysteme nehmen Einfluss auf das politische System, Machtdynamiken und selbstverständlich auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Das alles zahlt auf gesellschaftliche Entwicklungen und Strukturen ein, das gilt auch vice versa.
Energievisionen sind situiert: Das heißt, sie sind in verschiedenen Kontexten angesiedelt und werden stark von ihrer Umgebung und dem jeweiligen Kontext beeinflusst. Funktionierende Energieformen und Energiesysteme können unterschiedlich sein: Eine Transformationen, die für eine Region passend ist, kann für eine andere irreführend oder inpraktikabel sein.
Außerdem können sie als performativ angesehen werden: Energievisionen - und Visionen allgemein - konstruieren aktiv ihre gewünschte Zukunft bereits in der Gegenwart und beeinflussen somit Handlungen, Maßnahmen und Entscheidungen. Das gibt eine bestimmte Richtung vor und kann auch Pfadabhängigkeiten fördern - beispielsweise durch Entscheidungen, die langfristige Baumaßnahmen oder Infrastrukturen betreffen.
Es ist wichtig anzuerkennen, dass die Energiewende nicht nur eine technische Angelegenheit ist, sondern auch viele normative Implikationen mit sich bringt, die einen gewünschten Zustand der sozialen und politischen Ordnung mit beeinflussen, das muss bereits in der Planung berücksichtigt werden.
Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben? Welche Werte beeinflussen unsere Energiesysteme der Zukunft?
Die sozialen Faktoren und Strukturen in der Energiewende mitzudiskutieren ist nicht nur ein nice-to-have, sondern vielmehr notwendig - gerade in Zeiten von Unsicherheit, wirtschaftlichen Herausforderungen und einer immer weiter auseinanderdriftenden Polarisierung zwischen verschiedenen Gruppen der Gesellschaft ist es notwendiger denn je, einander zuzuhören und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Wir sollten Energievisionen diskutieren, um mögliche Wissenslücken für das Verständnis der Prozesse, die Zukunftsszenarien formen, zu schließen. Eine mögliche Praktik hierfür könnte die strategische Vorausschau und aktive Konstruktion verschiedener Szenarien sein. Bei der Zukunftsgestaltung geht es darum, Bilder und Visionen von der Zukunft zu identifizieren, zu schaffen und zu verbreiten und dadurch den Handlungsspielraum zu gestalten und Verbindungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herzustellen. Dazu jedoch an anderer Stelle mehr.
Zum Weiterlesen
Hajer, M. A. (2005). Setting the Stage: A Dramaturgy of Policy Deliberation. Administration & Society, 36(6), 624-647.
Hajer, M.A. & Pelzer, P. (2018) ‘2050—an energetic odyssey: Understanding “techniques of futuring” in the transition towards Renewable Energy’, Energy Research & Social Science, 44, pp. 222–231.
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